Prolog

Jason

9 Jahre zuvor…

»Verdammt Dean!«, stieß mein kleiner Bruder Cole aus. Er zog die Hand zurück, auf die Dean gerade geschlagen hatte. »Du musst dich schon etwas gedulden, das Essen ist gleich fertig«, sagte der wiederum. Ich saß auf der schmalen Bank in unserem viel zu kleinen und dreckigen Wohnwagen, während ich dem Spektakel vor mir zuschaute.

»Komm her, Cole«, sagte ich leise und klopfte auf den Platz neben mir. Seufzend trat dieser von unserem älteren Bruder zurück und setzte sich neben mich.

Es dauerte keine zwei weiteren Minuten, ehe Dean den dampfenden Topf voller Nudeln vor uns abstellte. »Wann kommt Dad wieder?«, fragte Cole leise. Ich wusste darauf jedoch keine Antwort, Dad verschwand öfters gegen abends und blieb über Nacht dann meistens weg.

»Wahrscheinlich morgen früh, da schläfst du aber noch.« Ich strich ihm besänftigend über den Kopf, er sollte sich nicht zu viele Gedanken darüber machen, sondern sich auf die Schule konzentrieren.

Dean stellte einen weiteren Topf voller Soße vor uns ab.

»So, bedient euch, Guten Appetit.« Er zog sich mit der Gabel Nudeln aus dem Topf.

Solche Kellen und Zangen besaßen wir nämlich nicht.

Cole langte auch zu, griff sich Nudel aus dem Topf und legte sie auf seinen Teller. Ich bediente mich ebenfalls.

»Bäh Dean, die sind nicht richtig durch und die Soße ist zu scharf«, beschwerte sich Cole und lehnte sich auf seinen Platz zurück. Er verschränkte die Arme vor der Brust und schmollte.

»Hör mal, Buddy, was anderes gibt’s aber nicht. Also iss, du willst doch morgen in der Schule keinen Hunger bekommen, oder?« Deans Stimme klang ruhig und freundlich, er schaute Cole an und wusste genauso wie ich, dass er ihn mit seiner bittenden Stimme rumbekommen würde. Nickend lehnte Cole sich wieder nach vorne und umgriff seine Gabel.

»Wann wirst du morgen wieder da sein?«, richtete sich Dean nun an mich, aber ich zuckte bloß mit der Schulter. »Kommt drauf an wie lange wir brauchen, um das Projekt zu beenden«, antwortete ich.

Wir sollten noch irgendeine Arbeit für den Physik-Unterricht machen. Dabei würde ich aber meinen Teampartner die ganze Arbeit machen lassen, er schuldete mir sowieso noch etwas.

Wissend nickte Dean und nahm eine weitere Gabel von nicht richtig durchgekochten Nudeln.

»Ich werde Dad Bescheid geben, dass er euch für morgen etwas bestellen soll. Ich werde mich ja bei Sergeant Harris vorstellen, erinnerst du dich?« Ich nickte zur Antwort. Dean wollte bald schon zur Army gehen.

»Ich lasse euch Geld für Pizza oder so da, okay?«

Ich nickte erneut zur Antwort.

Kapitel 1

Phoebe

»Müssen wir das wirklich tun, Jeremy?«, fragte ich meinen quirligen besten Freund, welcher mir aufgeregt zwei Tickets entgegenstreckte und dabei ein paar Hüpfer in die Luft sprang.

»Na aber unbedingt!«, antwortete er daraufhin. Jeremy hatte auf wundersame Weise zwei Tickets zu dem eigentlichen ausverkauften Boxkampf in einer Bar beim Campus ergattert.

Ich jedoch fand nichts Unterhaltsames an dem Spektakel von zwei sich prügelnden Männern. Außerdem hatte ich es nicht so mit Menschenmengen und ich musste sowieso am nächsten Morgen früh zu meinem ersten Kurs erscheinen.

»Ich weiß nicht so recht«, murmelte ich und sah zweifelnd zu Jeremy hinauf. Jer setzte seinen besten Hundeblick auf und sah mich flehend an.

»Bitte, Phoebe, ich verspreche, du wirst es nicht bereuen.«

Natürlich nicht, nicht wenn es nach ihm ginge. Jeremy fand nämlich nichts unterhaltsamer als sich prügelnde Männer anzusehen, die dabei– und Achtung, hier kommt ein Zitat – immer so verdammt heiß aussehen.

Dennoch überzeugte mich dieses Argument nicht wirklich, ich hatte momentan eine Menge für die Uni zu tun. Ich musste nächste Woche eine Hausarbeit abgeben und außerdem wollte ich heute Abend eigentlich mit meinen Eltern telefonieren, von denen ich schon seit Ewigkeiten nichts mehr gehört hatte. Ich schätze, sie nahmen mir den Umzug nach Phoenix immer noch ein bisschen übel.

Das waren schon genügend Gründe, warum ich nicht mitgehen sollte oder wollte.

Allerdings war ich auch wirklich schlecht darin, Nein zu sagen. Und gerade Jeremy, der so ziemlich die einzige Bezugsperson war, die ich in Phoenix hatte, konnte ich nie etwas abschlagen.

»Na gut, aber nur dieses eine Mal«, antwortete ich ihm daher. Jeremy machte einen Freudensprung, packte meine Handgelenke und sprang erneut in die Luft und zog mich dabei mit.

»Das wird ein fantastischer Abend!«, stieß er begeistert aus.

»Aber wir bleiben nicht so lange«, warnte ich ihn dennoch. Mir waren meine Noten wichtig, ich muss meinen Eltern einfach zeigen, dass es diese Uni wert war, den weiten Weg von Portland hierher zu machen.

Meine kleine Wohnung in der Nähe des Campus konnte ich mir nur dank der Hilfe meiner Eltern leisten.

»Geht klar!«, riss mich Jeremy aus den Gedanken »Dann mal los«, sagte er, umfasste meinen Oberarm und zog mich über die Schwelle meiner Wohnungstür. Ich konnte gerade so noch die Tür hinter mir zuziehen, da polterten wir auch schon die Treppen runter und den schmalen Weg zu seinem Auto entlang.

»Wir sind schon etwas spät dran, lass uns schnell reingehen«, sagte Jeremy nachdem er seinen Wagen schwungvoll in einen der provisorischen Parkplätze auf einem Schotterplatz abgestellt hatte. Und er hatte recht: Vor der Skyline Bar herrscht absolut kein Tumult mehr, dabei ist das eigentlich üblich. Auch der Gästebereich in der Bar war wie leergefegt. Stühle und Tische waren beiseitegeschoben und die Theke lag im Dunkeln. Eine Treppe im rechten Teil der Bar war allerdings hell erleuchtet und spendete so dem restlichen Teil genügend Licht. Wir liefen die breite Treppe hinunter. Ein Schwall an Energie und Lärm trat uns entgegen. Von hier aus konnte man bereits den ganzen Keller überblicken, welcher um einiges größer war als gedacht. An den Seiten befanden sich mehrere Ränge mit Sitzplätzen, davor war genügend Platz für das stehende Publikum. Die Meisten hatten entweder eine Zigarette oder ein Bier in der Hand und der Großteil war definitiv männlich.

Vor der stehenden Menge befanden sich noch vereinzelt Sitzplätze, welche am nächsten vor dem Ring in der Mitte der Halle standen. Auch der war viel größer, als ich es mir vorgestellt hatte.

Ein Security stand am Ende der letzten Stufe und sah uns mit verschränkten Armen entgegen. Die muskulösen Arme waren vor der Brust verschränkt und die schwarzen Haare nach hinten gekämmt.

»Tickets«, verlangte er rau und streckte auffordernd die Hand aus, die Augen kniff er zusammen.

Seine Anweisung klang fast schon herrisch und sagte unwillkürlich aus, dass wenn wir dieser nicht nachkommen würden, es uns einen Rauswurf bedeuten würde.

Jeremy fischte unbeeindruckt die zwei Tickets aus seiner Jacken Tasche und reichte sie ihm. Der Mann nickte kurz, zeigte mit dem Finger in eine Richtung und sagte bloß: »Dahinten sind eure Plätze.«

Er deutete einfach mitten in den riesigen Raum hinein, mit einem verwirrten Blick folgte ich seiner ausgestreckten Hand, aber sie zeigte auf keine bestimmten Plätze. Jeremy jedoch packte meine Hand und steuerte zielstrebig auf die Ränge der rechten Seite zu.

Wir mussten uns durch einige Studenten durchkämpfen und ich blieb nah bei Jeremy. Ihn jetzt zu verlieren, wäre die Hölle für mich.

Die meisten Zuschauer waren bereits betrunken und grölten laut die Musik mit, welche über die Lautsprecher gespielt wurde. Ich umklammerte Jeremys Hand fester und ließ mich weiter durch die Menge mitziehen.

»Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?«, fragte ich ihn, als ich unsere Plätze sah: Im Unterrang, relativ weit vorne sogar, direkt an den Eingängen für die Boxer. Das bedeutete jeder Boxer, der hereinkam, musste an uns vorbei. Ich hatte genug solche Filme gesehen, um zu wissen, dass der Lichtkegel, der die Boxer erfasste, groß genug sein würde, dass man auch uns sehen konnte.

Jeremy lächelte unschuldig und blickte mir in die Augen. »Sorry Phi, aber es gab keine anderen Plätze mehr.« Genervt seufzte ich auf und ließ mich auf meinen Platz fallen.

Bevor ich ihm auch nur eine Antwort darauf geben konnte, wurde der Raum in Dunkelheit getaucht und die Musik lauter gedreht. Augenblicklich wurde auch das Publikum lauter. Sie riefen die Namen von Boxern und johlten den Song mit.

»Versuche es zu genießen!«, rief Jeremy über den Lärm und ich warf ihm erst einen zweifelnden Blick zu, ehe ich die Schultern nach hinten rollte und nickte. Er hatte ja recht. Verdammt, mich kannte hier keiner, ich musste einfach versuchen, nicht aufzufallen und mit niemandem großartig sprechen. Aber das würde ich schon irgendwie schaffen, auch wenn ich mich wie immer in ungewohntem Umfeld fehl am Platz fühlte. Das hätte ich mir auch eigentlich denken können – aber Jeremys laute und lustige Art schaffte es mal wieder, dass ich aus meiner Komfortzone trat.

Die ersten Boxer wurden von einem Moderator über die Lautsprecher aufgerufen. Der Erste trat am gegenüberliegenden Eingang in die Helligkeit heraus. Der Zweite kam von unserer Seite. Beide bewegten sich siegessicher Richtung Ring, stießen die Fäuste nach oben und die Menge wurde lauter. Dann kletterten sie durch die Seile auf die Erhöhung.

Der Kampf war brutal und ich hatte irgendwann aufgehört mitzuzählen, wie oft ich schmerzlich das Gesicht verzogen hatte, wenn einer einen Treffer landete. Herrje, dieser Sport konnte doch nicht gesund sein.

Jeremy wiederum ging richtig auf, er jubelte mit dem Rest des Publikums mit und stand sofort auf, sobald es spannender wurde.

Jeder Kampf dauerte zwölf Runden. Und entweder beendete der Ringrichter den Kampf, einer der Gegner ging K. O. und stand nicht mehr auf oder es wurde nach Punkten entschieden.

Allerdings war der erste Kampf innerhalb kürzester Zeit bestritten und wurde durch ein K. O. beendet, da der Boxer aus unserer Ecke seinen Gegner mit einem Kinnhaken außer Gefecht gesetzt hatte.

»Na, so schlimm ist es doch nicht, oder?«, brüllte Jer mir ins Ohr und sah mich mit leuchtenden Augen an. Sein Adrenalin war förmlich zu sehen.

»Sicher.« Ich lächelte ihn an und sah zurück zum Ring. Beide Kämpfer gaben sich gerade die Hand.

Dann hörte man ein Knacken, ein Knistern, bis die Stimme des Moderators wieder aus dem Lautsprecher dröhnte. Der hatte während des Kampfes auch das Geschehen im Ring kommentiert.

»Und jetzt, meine Damen und Herren, kommt der Mann, wegen dem ihr alle hier seid. Der Mann, der ungeschlagen ist. Männer, haltet eure Frauen fest, denn hier kommt er … Hier kommt Jason Bail, euer JAIL!«

Ich musste mir kurz wirklich ein Schmunzeln unterdrücken. Jail – also übersetzt Gefängnis. Das war ja besonders kreativ. Ich versuchte, nicht die Augen zu verdrehen.

Ich hatte nicht gedacht, dass die Lautstärke noch weiter ansteigen könnte, aber das tat sie. Ein richtiger Tumult brach aus und brachte den Boden zum Vibrieren. Das Publikum spornte den Boxer an, rief seinen Namen immer wieder. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie sich etwas links hinter mir bewegte. Neugierig drehte ich mich um, als die Lichtkegel erst durch die Menge fuhren und sich schließlich auf den Eingang konzentrierten. Irgendein Rap Song dröhnte durch die Boxen und das Publikum tobte. Ich konnte gar nichts anderes, als mich von dem Spektakel anstecken zu lassen. Jetzt begann auch mein Adrenalin hochzuschießen.

Und dann kam er: Jail bewegte sich geschmeidig aus dem Gang und trat aus der Dunkelheit hinaus in die Arena.

Er blieb kurz auf Höhe der Türe stehen und blickte sich um.

»Sieht er nicht unfassbar gut aus?«, brüllte mir Jer ins Ohr. Allerdings blieb mir keine Zeit zu antworten, weil sich eine rothaarige Frau eine Reihe hinter uns herüberbeugte und sich an meiner Schulter abstützte. Durch den plötzlichen Druck kam ich ins Schwanken, schaffte es aber, die Balance wiederzufinden. Sie streckte Jail ihre Hand entgegen, welcher mittlerweile von einem Scheinwerfer erfasst wurde. Im nächsten Moment rutschte sie von meiner Schulter ab, krachte mit den Handballen in meine rechten Rippen und brachte mich wieder aus dem Gleichgewicht. Ich konnte mich nicht mehr an meinem Stuhl oder an Jeremy festhalten, sondern segelte geradewegs in den Gang hinein.

Das war jetzt nicht wirklich passiert, oder?

Bevor ich mich wieder aufrichten konnte, um so schnell wie möglich aus der Sicht des Publikums zu verschwinden, sah ich zwei muskulöse Beine vor mir, dann zwei Hände, die sich um meine Taille schlängelten und mir aufhalfen.

Das Geschrei der Menge wurde noch lauter, ich hielt den Kopf gesenkt. Warum passierte sowas denn auch immer mir? Ich wollte doch nicht auffallen und jetzt starrte mich das ganze Publikum an. Ich wusste, es war keine gute Idee gewesen, hierher zu kommen.

»Alles in Ordnung?«, fragte mein Helfer mich mit seiner rauchigen Stimme. Ich nickte bloß, wusste, dass ich nicht im Stande war, auch nur ein vernünftiges Wort rauszubringen.

Beschämt hob ich den Kopf, die Flecken auf meinen Wangen waren sicherlich schon dunkelrot.

Jail stand vor mir, ausgerechnet der Typ, der im Scheinwerferlicht stand und gerade auf dem Weg war, einen anderen Menschen zu verprügeln. Er wirkte besorgt. Er war bestimmt zwei Köpfe größer als ich und hatte genauso braune Augen wie auch Haare, oder nein, sie wirkten eher wie flüssiges Karamell. Er hatte kein T-Shirt an und als mein Blick auf seine nackte Brust und die Bauchmuskeln fielen, hob ich sofort den Kopf. Schmunzelnd sah mich Jail an. Verdammt, ich hatte gestarrt.

»Wie heißt du?« Ich schaute ihn überrascht an, da ich nicht gedacht hätte, dass ihn das wirklich interessiert. Weil er mich abwartend musterte, zwang ich mich dann doch endlich zu einer Antwort.

»Äh … Phoebe«, stammelte ich und Jail ließ seine Hände wieder von meiner Hüfte gleiten. Jetzt war ich für mein Gleichgewicht wieder selbst verantwortlich.

»Ich entschuldige mich für meine Fans, Phoebe, sie sind ein wenig … aufdringlich.« Er zupfte mein T-Shirt am Kragen wieder gerade.

Seine Fingerknöchel berührten dabei meine Haut und ich hielt den Atem an.

Er lächelte mich an und dabei erschien ein Grübchen auf seiner Wange.

»Komm schon, Jail. Genug geflirtet. Komm hier hoch und mach noch ein paar andere Damen glücklich«, dröhnte es aus den Lautsprechern.

Augenblicklich wurde ich wieder in die Realität katapultiert. Hatte ich wirklich vergessen, dass uns gerade hunderte von Menschen ansahen?

Ich spürte, wie mir die Röte wieder ins Gesicht schoss.

»Ich muss dann los, Phoebe. Genieß den Kampf.« Jail fuhr mir ein letztes Mal über den Arm und löste sich mit einem Zwinkern von mir. Herrje.

Ich nickte rasch und eilte wieder zu meinem Platz.

»Oh mein Gott, du hast gerade mit Jail gesprochen und er hat dich auch noch angefasst!«

Jeremy strich über die Stelle, auf welcher gerade noch Jasons Hand gelegen hatte.

Ich warf Jer nur ein gequältes Lächeln zu. Mir war diese ganze Situation dermaßen unangenehm, dass ich bloß hoffte, dass er es nicht nochmal ansprechen würde. Ich drehte mich wieder nach vorne widmete mich dem Kampf.

Kapitel 2

Phoebe

Er war unglaublich. Jail bewegte sich agil und schnell, zu keinem Moment ließ seine Deckung nach. Sein Gegner holte zu einem Schlag aus, zielte auf Jails rechte Seite, aber Jail trat einfach einen Schritt beiseite und wich seinem Schlag aus. Der Gegner traf ins Leere.

Es wirkte beinahe so, als könnte Jail die Schritte seines Gegners vorahnen und duckte sich jedes Mal rechtzeitig weg.

Jail war so energiegeladen, dass er keinerlei Anzeichen von Müdigkeit aufzeigte. Er hüpfte belustigend um seinen Gegner herum, ehe er ihn angriff. Bei jedem seiner Treffer rastete die gesamte Menge aus. Haufenweise Mädchen riefen ihm schmutzige Sachen zu, die sich hauptsächlich auf andere Dinge als das eigentliche Boxen bezogen. Ich versuchte, die Sprüche auszublenden.

Jail schlug seinem Gegner mit seiner rechten Faust gegen den Kiefer und dann gegen seine rechte Seite. Der Gegner, der Gorilla genannt wurde, fing an zu taumeln und fiel auf die Knie.

Die Lautstärke erhöhte sich. Ein Jubelruf fuhr durch die Menge, Jail wurde bereits als Sieger gefeiert. Aber gerade als der Ringrichter mit dem Zählen bei der Vier ankam, kämpfte sich Gorilla wieder auf die Beine.

Ich blickte zu Jail und merkte, wie er mich aus dem erhöhten Ring betrachtete. Überrascht zog ich die Augenbrauen hoch. Konnte er mich wirklich in der Menge erkennen?

Aber dann zwinkerte er mir zu und widmete sich wieder seinen Gegner. Meine Hände wurden feucht und in meinem Magen macht sich ein warmes Gefühl breit.

»Hat er dir gerade zugezwinkert?«, stieß Jeremy hibbelig aus und fuhr mit aufgerissenen Augen zu mir herum.

»Ich denke, er hat einfach der Menge zugezwinkert, hier sitzen doch haufenweise Frauen«, sagte ich und deute auf die Handvoll Mädchen in unserem Block.

»Jaja, rede dir das nur weiterhin ein, ich habe doch gesehen, wie er dich angesehen hat.« Jeremy verdrehte grinsend die Augen und sah jubelnd wieder zum Ring, als Jail einen weiteren Treffer in Gorillas Rippen landete.

Jail war definitiv attraktiv. Ich hatte ja immerhin auch Augen im Kopf. Ich und die anderen fünfhundert Frauen, die sich im Publikum befanden. Ich warf Jer einen kurzen Blick zu, aber den bemerkte er gar nicht.

Ich freute mich jetzt schon auf mein Bett. Die vergangenen Stunden hatten definitiv mein Bedürfnis nach sozialen Kontakten gestillt, auch wenn ich zugeben musste, dass dieser Sport doch spannender war als gedacht. Ich sah rechtzeitig wieder nach vorne, um zu beobachten wie Jail dem Gorilla noch einen Schlag in das Gesicht versetzte, wodurch der wieder taumelte. Schließlich ging er zu Boden und dieses Mal blieb er liegen. Der Ringrichter fing erneut an zu zählen.

»Sieben … Acht … Neun …« Und noch bevor der Ringrichter die letzte Zahl aussprechen konnte, explodierte die Menge ein weiteres Mal.

»Unser Gewinner an diesen Abend, Ladies und Gentlemen, ist JAAAAAIL!«, ertönte die Stimme des Ansagers.

Zwei Dutzend Fans liefen auf den Ring zu, um Jail zu feiern. Dabei entstand so ein großes Chaos, dass ich kurz meine Orientierung verlor. Ich drehte mich wieder zu meinem Platz um, aber Jeremy war weg, einfach weg. Kurz überkam mich Panik. Er konnte mich doch jetzt nicht alleine lassen. Überall um mich herum waren nur fremde Gesichter. Ich stieß den angehaltenen Atem flach aus und strich mit den feuchten Händen über meine Jeans.

Ich sollte ihn an mir festbinden, wenn wir unterwegs waren.

Jeremy war viel zu hibbelig, als dass er jetzt sitzen geblieben wäre.

Ich drehte mich in alle Richtungen, um irgendwo meinen Blondkopf zu entdecken, doch ich fand ihn nirgends. Verdammt!

Daher fasste ich den Entschluss, dass ich einfach zum Auto gehen würde, dort würden wir uns schon wieder treffen. Der Weg dorthin offenbarte sich allerdings viel schwieriger als gedacht. Plötzlich kam mir den Ausgang meilenweit entfernt vor. Haufenweise Studenten strömten in die Mitte, wollten näher am Ring sein.

Ich drückte mich durch die Menge und bahnte mir den Weg immer näher zum Ausgang.

Aus dem Nichts spürte ich einen Ellenbogen in meiner Seite. Die Luft wurde mir für einen kurzen Moment aus den Lungen gepresst und ich blieb stehen, ehe ich mich umdrehte, um zu sehen, wer es gewesen war. Allerdings liefen so viele Studenten durcheinander, dass es beinahe unmöglich war, den Übeltäter auszumachen.

Ich verfluchte Jeremy in Gedanken dafür, dass er mich zu solch einer Fight Night mitgeschleppt hatte, während ich mir weiter den Weg durch die Menge bahnte und mir die Seite hielt. Das würde definitiv ein schöner blauer Fleck werden.

Ich kam nicht wirklich weit, als ich zum zweiten Mal anhalten musste. Dieses Mal, weil mir ein riesiger Kerl in einem schwarzen T-Shirt mit dem Aufdruck »Gorilla« im Weg stand. Den konnte ich nicht so einfach beiseite drücken.

»Der Affe hat zurecht verloren, niemand ist besser als Jail«, sagte ein anderer, der uns gegenüberstand. Der war in Rot gekleidet und lallte heftig, während er sich an einer Säule festhalten musste und sich zu seinem Gegenüber lehnte.

»Der hat nur gewonnen, weil Gorilla einen schlechten Tag hatte, bild dir darauf nichts ein«, sagte der in Schwarz und schwankte ebenfalls etwas. Die beiden waren definitiv betrunken und ich wollte mich am liebsten schnellsten aus dem Staub machen. Ich setzte gerade an, einen Umweg zu machen und einen großen Bogen um die beiden zu laufen, als sie mich entdecken. Natürlich, weil ich ja wieder starren musste.

»Was glotzt du denn so dumm?«, fragte der in Schwarz und auch der in Rot sah mich wütend an. »Das hier geht dich gar nichts an«, sagte er und schwankte auf mich zu.

Abwehrend hob ich die Hände. »Ich wollte gerade gehen, entschuldigt«, nuschelte ich schnell und trat einen Schritt nach hinten. Dadurch knalle ich geradewegs mit jemanden hinter mir zusammen. Aber das schien ihn nicht sonderlich zu interessieren.

Der Schwarze kam erneut näher. »Was hast du gesagt?«, lallte er und zog eine Augenbraue hoch. Grade als ich zu einer Antwort ansetzen wollte, spürte ich eine Präsenz hinter mir, dann ertönte schon eine raue, laute Stimme.

»Lasst sie in Ruhe«, sagte er barsch, »und macht das ihr verschwindet.« Ich erkannte an seiner Stimme, dass es Jail war. Der Rote schaute begeistert zu ihm hinauf, während der andere ihn eher grimmig betrachtete, sich aber umdrehte und ging.

Wieder waren sämtliche Blicke um uns herum auf uns gerichtet. Heute scheint wirklich nicht mein Tag zu sein.

Schluckend drehte ich mich zur Seite, um geradewegs in Jails karamellfarbene Augen zu blicken. Neben ihm standen mehrere Securitys, die ihn vom Rest der Menge so gut es ging abschirmten.

»Danke«, murmelte ich leise, sodass nur er es hören konnte.

Seine Brust war schweißnass und seine Haare standen wild von seinem Kopf ab.

»Alles in Ordnung?«, fragte er mich heute schon zum zweiten Mal. Wieder nickte ich nur zur Antwort. Ich wollte wirklich einfach nur noch nachhause und mich unter meiner Bettdecke verkriechen.

Jail betrachtete mich mit einem letzten prüfenden Blick, ehe er einen Schritt auf mich zu machte. Instinktiv trat ich zurück. Stirnrunzelnd betrachtete er mich, blieb aber stehen.

»Komm mit nach hinten, dann kann ich dich aus dem Tumult rausbringen«, sagte er. Einen Moment sah ich mich nochmal in der Menge um, mit der Hoffnung, irgendwo Jeremy zu entdecken, aber wieder war da keine Spur von ihm. Seufzend wog ich meine Möglichkeiten ab. Alleine kam ich hier anscheinend wirklich nicht mehr raus, allerdings kannte ich Jail überhaupt nicht. Frustriert strich ich mir die Locken hinter das Ohr und nickte schließlich sachte. Jails Ausdruck wurde fester und er machte einen weiteren langsamen Schritt auf mich zu, bevor er seinen Arm um meine Mitte legte und mich an seine Seite zog. Durch seine vorsichtigen Berührungen entferne ich mich diesmal nicht von ihm.

»Lasst uns durch«, befahl er und die Menge teilte sich tatsächlich auf seine Worte hin. Die Securitys sorgten dafür, dass der Gang frei blieb.

Wir liefen den Weg zurück, den ich gerade noch so erfolgreich bestritten hatte. An meinem Platz vorbei gingen wir durch den Eingang für die Kämpfer bis wir vor einer Tür standen, auf der Jails angebracht war.

Der Raum selbst sah aus wie eine typische Sportumkleide. Es gab Spinde an den Seiten und eine längliche Bank in der Mitte.

»Setz dich«, sagte er und löste seinen Arm von meiner Hüfte. »Du hast es anscheinend nicht so mit meinen Fans.« Er lächelte mich an als er das sagte.

»Woher willst du wissen, dass ich nicht auch ein Fan bin?«, fragte ich, verschränkte die Arme vor der Brust und setzte mich noch nicht hin.

Jail zuckte mit den Schultern, ehe sich ein schmales Lächeln auf seine Lippen legte. »Weil du heute wahrscheinlich lieber zuhause geblieben wärst.« Er warf einen kurzen Blick auf meine fliederfarbene Strickjacke. Ein Kleidungsstück war also ein Grund?

Ich zog die Augenbrauen zusammen. Als hätte er meine Verwirrung erahnt, neigte er den Kopf zur Seite. Seine Augen lagen weiter auf mir.

»Die meisten Frauen, die hier sind, kleiden sich etwas … anders«, raunte er. Ich spürte die Wärme, die mir wieder in die Wangen kroch. Damit meinte er wohl, dass sich die anderen Frauen so anzogen, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.

»Na dann haben es deine Fans wohl eher nicht mit mir«, murmelte ich.

Er lachte auf und nickte. »Kann schon sein.«

Sein Lachen schallte durch den kleinen Raum und seine Augen funkelten heller auf.

Ich senkte den Blick wieder, als ich merkte, dass ich ihn schon wieder zu lange angesehen hatte. Langsam ließ ich mich schließlich doch auf die Bank nieder.

»Hast du dich irgendwie verletzt?«, fragte er mich und riss mich aus meinen Gedanken heraus. Automatisch griff ich zu meiner rechten Seite, wo ich den Ellenbogen abbekommen hatte. Sofort ließ ich die Hand wieder fallen und schüttelte mit dem Kopf.

»Alles gut«, nuschelte ich.

Er zog eine Augenbraue hoch »Lass mich mal sehen.« Er holte ein weißes Shirt aus der Sporttasche, die neben mir auf der Bank lag und streifte es sich über.

»Du musst nicht – es ist alles okay«, sagte ich schnell, aber Jail ging in die Hocke und sah mich auffordernd an.

»Nein, Jail dass musst du wirklich nicht.« Er griff nach dem Tape-Band, das um seine Hände und Knöcheln gebunden war und wickelte es ab.

Er sah zu mir hoch »Nenn mich Jason und doch ich werde es mir ansehen«.

Seufzend zupfte ich an dem unteren Saum des Shirts und zog es an der Seite leicht hoch.

Jason ließ das Tape in seiner Tasche verschwinden und lehnte sich zur Seite. Sein Kopf befand sich auf Höhe meines Ohres, er streckte eine Hand aus und fuhr mit den Fingerspitzen über meine Haut.

Ich zuckte zusammen, nicht wegen des Schmerzes, sondern wegen seiner kühlen Finger. Hoffentlich hatte er meine Reaktion auf den Hautkontakt nicht gemerkt, ab jetzt könnte es gerne weniger peinlich werden.

»Was ist passiert?«, fragte er mich. Ich spüre seinen Atem, er kitzelte mein Ohr.

»Ich habe ein Ellenbogen in die Seite bekommen«, flüstere ich genau so leise zurück. Seine Finger ließen von meiner Haut ab und er blickte mir wieder in die Augen. Ich wich seinem Blick abrupt aus und sah stattdessen wieder zu meinem Oberschenkel runter.

»Du wirst wahrscheinlich einen ganz schönen blauen Fleck davontragen, Phoebe. Ich hole einen Eisbeutel und etwas Salbe.« Er ging aus dem Raum und ich blickte ihm überrascht hinterher. Jason hatte sich echt an meinen Namen erinnert? An meinen?

Wenige Sekunden später kam er auch schon mit einem kleinen Kühlakku und einer Tube zurück.

»Jason, wo steckst du denn schon wieder?«, rief eine weiterentfernte Stimme, leise Schritte waren zu hören.

»Ich bin hier, Cole«, gab Jason zurück. Dann schaute er wieder zu mir »Zieh dein Shirt nochmal hoch«, meinte er rau und ich zog es wieder hoch. Er trug etwas Salbe auf seine Finger, ehe er sie vorsichtig gegen meine Haut rieb. Eine Gänsehaut zog sich über meine Arme und ich wusste selbst nicht, ob es von der Berührung oder der Kälte der Salbe kam. Aber ich hoffte, dass er auch davon nichts mitbekommen hatte.

Als er fertig war, reichte er mir ein Kühlakku.

»Danke.« Und wieder bekam ich nicht mehr als ein Murmeln heraus. Er lächelte mich mit einer Reihe weißer Zähne an. »Nicht dafür Süße.« Er zwinkerte mir wieder zu.

Die Schritte draußen wurden lauter.

»Ich denke, du kannst jetzt zum Ausgang gehen, ohne dass etwas passiert. Die meisten sollten die Bar schon verlassen haben.« Er lachte rau. Ein kurzer Schauer kribbelte über meine Wirbelsäule, als ich sein Lachen hörte. Verwirrt von dieser Reaktion stand ich rasch auf.

Ich nickte eifrig und legte mir den Eisbeutel auf die schmerzende Stelle. Es fühlte sich sofort besser an.

»Danke«, sagte ich wieder leise und kniff die Augen zusammen. Jason nickte bloß und schaute mich einen Moment still an.

»Oh, ich wollte nicht stören, aber Jason wir müssen langsam echt los.«

Ein Junge kam in den Türrahmen der Umkleide. Das musste dieser Cole sein, der eben nach Jason gerufen hatte. Er sah Jason ähnlich, nur ein bisschen jünger und viel schmaler. Ich lächelte ihn an und verließ den Raum. Ich ging den breiten Mittelgang wieder zurück, der in Richtung des großen Kellers führt.

»Phoebe«, hörte ich plötzlich wieder Jasons Stimme hintern mir. Überrascht drehte ich mich zu ihm um.

»Ja?«

Er kam mir entgegengelaufen und hielt sein Handy in der Hand.

»Bekomme ich deine Nummer?«

Ich erstarrte. War das sein Ernst? Niemals wäre ich auf den Gedanken gekommen, dass jemand wie Jason mich nach meiner Nummer fragen könnte. Verdutzt suchte ich in seinen Augen Ironie oder Sarkasmus, aber ich erkannte nichts.

»Äh … klar«, antwortete ich ihm daher, griff nach dem Handy und tippte meine Nummer ein.

»Wir sehen uns, Phoebe.«

»Wo zum Teufel hast du gesteckt? Ich habe mir verdammte Sorgen gemacht«, fuhr mich Jeremy an, der an das Auto angelehnt eine Zigarette rauchte.

»Du warst plötzlich weg und da wollte ich zum Ausgang gehen, dann haben mich zwei Typen nicht weitergelassen und dann ist Jason aufgetaucht, hat mich mit in seinen Umkleide gezogen und er hat mir ein Kühlakku und Salbe besorgt, weil ich kurz vor den zwei Typen einen Ellenbogen in die Seite bekommen habe.« Ich holte tief Luft und zog das Kühlakku unter mein Shirt hervor, um es ihm zu zeigen.

»Warte, Moment mal, ganz ruhig. Bei dem Teil mit Jason bin ich ausgestiegen, was ist passiert?« Er zog spitzbübisch die Augenbrauen nach oben. Ich schüttelte lachend den Kopf. Jeremy war schon eine merkwürdige Person. Jer grinste und zog mich in Richtung Beifahrertür.

»Na komm, steig ins Auto, ich bringe dich nach Hause. Dann kannst du mir auf den Weg nochmal alles erzählen.« Und bevor er die Tür zuwarf fügte er hinzu: »Es ist nämlich schon halb elf.«

Mir wich die Farbe aus dem Gesicht. »Was?« Und da knallte er auch schon die Beifahrertür zu.

Kapitel 3

Jason

»Cindy steht draußen. Oder soll ich ihr Bescheid geben, dass es heute nicht so passt?«, fragte mein jüngerer Bruder Cole. Ich sah Phoebe noch einen Moment hinterher, erst als sie um die Ecke in Richtung Ausgang verschwand, wandte ich den Blick ab.

»Sag Cindy ab, ich habe heute keine Lust«, entgegnete ich und begab mich wieder in die Umkleide, packte meine Sporttasche und hängte sie mir über die Schulter. Auch wenn es verlockend klang, dass sie bereitwillig mit mir in die Kiste steigen würde, war mir die Lust vergangen. Cindy wartete öfters nach einem Kampf draußen auf mich. Aber es würde sich irgendwie falsch anfühlen.

»Heute, oder?«

Ich sah zu Cole hinüber und schüttelte den Kopf. »Generell, ich will sie nicht.«

Cole zog die Augenbrauen zusammen. »Wegen ihr?«, fragte er und nickt in die Richtung, in die Phoebe gerade verschwunden war.

»Das verstehst du nicht«, sagte ich nur und mache mich auf die Suche nach Jerry. Er schuldete mir noch meinen Verdienst für heute. Außerdem müsste hier noch irgendwo mein Coach Logan stecken.

»Ich versteh es schon, sie ist hübsch. Allerdings glaube ich nicht, dass sie sich auf eine schnelle Nummer mit dir einlässt.«

Ich fuhr zu ihm herum und kniff die Augen zusammen. »Ich will auch nichts Schnelles mit ihr.«

Ich hatte keine Ahnung, was sie da in mir erweckt hatte, aber ich wollte sie auf jeden Fall wiedersehen. Sie kennenlernen. Sie war nicht wie Cindy oder sonst irgendein Groupie.

»Na, wenn du das sagst.« Cole zuckte mit den Schultern. »Allerdings glaube ich, dass sie einen festen Freund hat.« Ich blieb mitten auf den Gang stehen.

»Woher willst du das denn überhaupt wissen?«

Cole zuckte erneut mit den Schultern und verschränkte die Arme vor der Brust, ehe er den Abstand zwischen uns wieder aufholte.

»Sie geht auf meine Uni und wenn ich sie sehe, ist sie eigentlich ständig mit einem anderen unterwegs.«

Ich runzelte die Stirn und presste die Lippen aufeinander. Es würde mich nicht wundern, wenn jemand wie Phoebe tatsächlich schon in festen Händen wäre. Ein unangenehmes Gefühl machte sich in meinem Bauch breit. Und wenn sie wirklich schon vergeben war? Ich musste mehr erfahren, meine Chance nutzen.

»Erzähl mir mehr!«, forderte ich ihn auf.

Nun musste Cole doch lachen. »Mehr weiß ich auch nicht, sie ist eher unscheinbar, ist viel mit diesem Jungen zusammen, ich glaube mehr Freunde hat sie auch nicht«.

Ich ballte unbewusst die Hände zu Fäusten und ließ die Knöchel knacken.

»Dann muss ich wohl mehr über sie herausfinden.«

»Bist du dir sicher, dass sie gleich Schluss hat?«, fragte ich. Cole saß neben mir auf dem Beifahrersitz in meinem Jeep.

»Ich weiß es nicht genau, aber am Montag endet der letzte Kurs immer um diese Zeit«, entgegnete er und sah ebenfalls aus dem Fenster in Richtung Haupttür der University of Phoenix.

»Wieso hast du ihr nicht einfach eine SMS geschrieben?«, fragte er gelangweilt. Er verstand mein Verhalten nicht, zumindest nicht ganz. Cole wusste, wie ich war. Impulsiv und besitzergreifend. Oftmals war das nicht von Dauer, oft befriedigten irgendwelche Frauen einfach dieses Gefühl. Aber diesmal war es etwas anderes, das musste ich ihm nur noch klar machen. Hoffentlich würde Logan es auch einfach verstehen.

Auf Coles Frage zuckte ich nur mit den Schultern. »Weil ich es persönlicher machen wollte? Außerdem muss ich mich davon überzeugen, dass sie keinen anderen hat.«

Und ich wollte sie einfach wiedersehen. Nach dem Kampf gestern und selbst als ich mich nach einer kalten Dusche in mein Bett gelegt hatte, konnte ich meine Gedanken nicht richtig sammeln. Sie kreisten die ganze Zeit um Phoebe. Ich musste sie unbedingt wiedersehen, alles andere war gar keine Möglichkeit. Nachdem ich zwei Stunden wachgelegen hatte, musste ich mich erneut unter den kalten Wasserstrahl meiner Dusche stellen.

Endlich schwang die Tür auf. Zahlreiche Studenten strömten heraus und liefen quer über den Campus in Richtung der Wohnheime oder Parkplätze.

»Da, da ist sie«, rief Cole aufgeregt und zeigte dabei auf ein Mädchen, das mit gesenktem Kopf ihre Bücher an die Brust presste und mit schnellen Schritten zum Parkplatz lief.

»Bleib hier!«, ordnete ich an, ehe ich die Fahrertür aufstieß und auf sie zu joggte.

»Verschreck sie nicht«, rief Cole mir hinterher, aber ich drehte mich nicht mehr zu ihm um, sondern hielt den Blick auf die hübsche Brünette vor mir.

»Phoebe«, rief ich, als sie in Hörweite war. Erschrocken blieb sie stehen und riss die schönen blauen Augen weit auf, als sie mich erkannte. »Jason?«, stieß sie verblüfft aus und ich kam vor ihr zum Stehen.

»Hast du einen Freund, Phoebe?«, schoss es aus mir raus, bevor ich mich davon abhalten konnte.

»Äh«, stammelte sie nur überrascht und ehe sie mir die Frage beantworten konnte, näherte sich schon ein schmalgebauter blonder Junge von der Seite. Locker schwang er ihr den Arm um die Schulter.

Sauer starrte ich auf den Arm, obwohl ich versuchte einen neutralen Ausdruck zu bewahren. Ich musste mich zügeln, ihm nicht den Arm zu verdrehen und von ihr wegzustoßen.

»Wenn das mal nicht Jason Bail ist. Siehst du, Süße, ich habe es dir doch gesagt«, schmunzelte der Typ, der seine Griffel immer noch an ihr hatte. Phoebe sah mich mit weit aufgerissenen Augen an und ihre Wangen nahmen wieder einen rötlichen Ton an.

»Äh«, blubberte es wieder aus ihr heraus und sie sah zu dem Jungen an ihrer Seite.

»Bist du ihr Freund?«, wandte ich mich daher an ihn. Der Blonde sah mich ebenfalls verblüfft an, ehe sich seine Lippen zu einem breiten Grinsen verzogen. Wenn es nicht ihr Freund war, könnte ich ihn mit zwei Hieben beiseite schaffen. Ich ballte unwillkürlich die Fäuste.

»Ach, sieh mal einer an.« Er zog Phoebe enger an sich und stieß sie mit der Hüfte an.

Ich hielt den Blick weiter fragend auf ihn und zog die Augenbrauen zusammen. Er lachte und schüttelte schließlich den Kopf.

»Im Moment würde ich dich ihr um Längen vorziehen.« Er zwinkerte mir zu und ich brauchte einen Moment, um zu verstehen, was er gerade gesagt hatte. Ich kniff die Augen zu und öffnete die geballten Fäuste.

»Also hast du kein Freund?«, fragte ich wieder an Phoebe gewandt. Sie schaute mir direkt in die Augen und sagte endlich klar und deutlich: »Nein.« Erleichterung machte sich in mir breit. Ich schaute ihren Kumpel mit einem Blick an, der ihm klar machen sollte, dass er uns alleine lassen soll. Er nickte mir zu und ließ seinen Arm von Phoebe gleiten »Wir sehen uns.« Er flüsterte ihr noch etwas ins Ohr, was durch ein dunkleres Rot auf Phoebes Wangen belohnt wurde. Dann machte er kehrt und ließ uns alleine.

»Also das ist mein Freund Jeremy, nicht fester Freund, sondern bester Freund«, nuschelte sie schnell und schaute Jeremy für einen Moment hinterher.

»Was machst du hier?«, fragte sie schließlich und drückte die Bücher fester gegen ihre Brust. Ich ließ den Blick für eine Sekunde nach unten gleiten, räusperte mich und sah ihr wieder in die Augen.

»Also, ich wollte dich eigentlich fragen, ob du heute Abend mit mir Essen gehen möchtest?« Ich lächelte sie sanft an, da sie ein wenig ängstlich aussah. Aber sie sollte verdammt nochmal keine Angst haben. Nicht vor mir.

»Wirklich?«, entfuhr es ihr überrascht und sie trat einen Schritt zurück. Verwirrt kräuselte ich die Augenbraue. »Ja«, bestätigte ich.

Phoebe warf mir für einen Moment einen prüfenden Blick zu. Nach endlosen Sekunden nickte sie sachte.

Meine Finger zuckten, ich wollte sie so gerne wieder berühren. Ich umfasste ihren zierlichen Nacken mit meiner Hand, kurz schreckte sie zurück, aber binnen Sekunden entspannte sie sich wieder und sah mich abwartend an. Ich beugte mich vor.

»Ich schreib dir, wann ich dich abholen komme, gib mir eine Chance, ja?«, flüstere ich und drücke ihr einen Kuss auf ihre Wange, die immer noch verfärbt war.

Sie nickte und ihre Lippen verzogen sich zu einem leichten Lächeln. Ich löste mich nur schwer von ihr und sog noch einmal ihren süßen Duft ein.

»Bis später, Phoebe.«

Kapitel 4

Phoebe

»Bin um 6 da – J«

Das war alles, was mir Jason geschrieben hatte. Ich speicherte seine Nummer sofort in mein Handy ein. Woher zum Teufel wusste er meine Adresse? An den Gedanken hielt ich mich nicht länger auf und begann damit, mich fertig zu machen. Eine einfache Jeans und ein Shirt, mehr nicht. Ich wusste nicht so ganz, was es war, aber alleine Jasons Anwesenheit war irgendwie ungemein aufregend. Er wirkte nicht wie die anderen Jungs an meiner Uni. Er verhielt sich anders. Er wusste, was er wollte und offensichtlich war das ich. Aber mir fiel ein, was Jeremy mir schon von ihm erzählt hatte: Jason sei einer der größten Playboys im Umkreis von fünfzig Meilen. Und ich wollte ganz sicher nicht zu seinen Püppchen gehören. Wenn Jason nur mit mir ausging, um mich in die Kiste zu bekommen, würde ich schnell und höflich ablehnen und mich vom Acker machen.

»Wieso ziehst du nicht was anderes an, etwas was ihn so richtig heiß macht?«, gab Jeremy wie üblich seinen Senf dazu. Ich blickte ihn durch den Spiegel an und rückte meine Klamotten zurecht. »Weil ich nicht möchte, dass er denkt, dass ich ihm gefallen will.«

Jer fing an zu grunzen. »Ich denke, du gefällst ihm sowieso schon.«

»Aber vielleicht will ich das gar nicht?«, entgegnete ich rasch.

Jeremy zog die Augenbrauen in die Höhe. »Wieso solltest du das nicht wollen?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Weil ich meine ersten Erfahrungen gerne mit jemanden machen würde, für den ich nicht nur eine von vielen bin«, stammelte ich und warf einen letzten Blick in den Spiegel.

Dann wandte ich mich ab und ging zum Schreibtisch, auf dem meine Ohrringe lagen. Sie waren milchweiß und hatten eine Tropfform. Nachdem ich mir sie angesteckt hatte, drehte ich mich wieder zu Jeremy.

»Phi, ich habe so das Gefühl, dass da mehr hinter steckt als du denkst.«

»Und woher willst du das wissen?«

Jeremy richtete sich an der Kante meines Bettes weiter auf.

»Vertrau mir einfach, außerdem ist es euer erstes Date, es wird schon nichts passieren.«

Für einen Moment sah ich ihm in die Augen, Jeremy blickte mir ernst entgegen. Seufzend nickte ich schließlich und ließ den Kopf hängen. »Du hast ja recht.« Ich machte mir einfach viel zu viele Gedanken.

Ich ließ den Blick zu der Uhr auf meinem Nachttisch gleiten.

»Oh verdammt, ich muss runter!« Schnell nahm ich noch meine kleine Tasche und hängte sie mir über die Schulter. »Mach bloß nichts kaputt, Jer!« Jeremy wollte in meiner Wohnung auf mich warten, sodass ich ihm sofort alles erzählen konnte, wenn ich wieder zurück war. Jer hob beide Hände und setzte einen unschuldigen Blick auf. »Niemals, Phi.« Ich musste aufgrund seiner imitierten Baby-Stimme lachen und schüttelte mein Haar. »Bis später«, rief ich ihm noch zu, schloss die Wohnungstür hinter mir und trat hinaus in den Flur.

»Das ist doch jetzt nicht dein Ernst, oder?«, hörte ich einen wutentbrannten Jason sagen. Ich stand in der Eingangstür meines Wohnhauses. Jason hatte mir den Rücken zugewandt und hielt sein Handy gegen sein Ohr gedrückt. Dabei umfasste seine Hand das Handy so stark, dass seine Fingerknöchel weiß hervorstanden. »Oh nein, ich brauche keine Ausreden von dir, Cole.« Aus dem Handy war eine Stimme – vermutlich Cole – zu hören, aber ich verstand kein Wort. »Du wusstest ganz genau, dass ich heute mit ihr ausgehen wollte, also was soll der Schwachsinn?«

Wieder die Stimme am anderen Ende der Leitung.

»Dann sag es halt ab! Ich kann heute Abend nicht«, stieß Jason aus.

Ich wusste nicht recht, ob ich mich bemerkbar machen sollte. Ich wollte ihn bei seinem Telefonat nicht stören. Wollte er mich versetzten?

Plötzlich seufzte Jason frustriert auf. »Ich frage sie, wenn sie nicht will, dann komme ich nicht. Das hast du dir selbst eingebrockt, stell du dich doch in den Ring«, feixte er.

Dann legte er einfach auf, ohne auf die Antwort von Cole zu warten. Er drehte sich zu mir um und als er mich sah, veränderte sich sein Gesichtsausdruck.

»Du siehst wunderschön aus«, flüsterte er. Ich blickte nach unten, um mich noch einmal zu mustern und sah dann lächelnd in seine Augen. »Dankeschön, du siehst auch gut aus.« Ich sah ihn genauer an. Er trug eine enganliegende schwarze Jeans und ein dunkelblaues Shirt. »Nur gut?« Er lächelte mich verschmitzt an und zog die Augenbraue hoch. Ich wurde augenblicklich rot. Mit solchen Flirtereien kam ich nicht klar. Ich war grottenschlecht darin.

Er räusperte sich und seine Stimme wurde ernster: »Es gibt ein kleines Problem, Phoebe.« Er kam näher auf mich zu, streckte seine Hand in meine Richtung aus und strich mir die Haare über die Schulter zurück. Ich blieb wie eingefroren stehen und bewegte mich keinen Zentimeter.

»Cole hat gerade angerufen, er hat mich für heute für einen Kampf angemeldet. Wenn du aber keine Lust auf einen Fight hast, können wir auch essen gehen. Was du lieber möchtest.« Er sah mich liebevoll und einfühlsam an.

Ich hätte mich zwar über ein Abendessen mit ihm mehr gefreut, aber wenn ich ihn wirklich kennenlernen wollte, dann gehörte das Kämpfen eben mit dazu. Hoffentlich hatte Jeremy nur auch recht damit, dass es Jason auch bei mir um mehr ging.

»Wir können zum Fight gehen«, erwiderte ich schließlich lächelnd und auf Jasons Lippen zeichnete sich ebenfalls ein Lächeln ab. Er streckte mir seine Hand entgegen und ohne groß drüber nachzudenken, ergriff ich sie.

Er führte mich zu seinem Auto.

»Du kommst mit in meine Umkleide und dann setzt du dich zu Cole und Logan, okay?« Er blickte mich kurz an und schaute dann wieder auf die Straße. Jason ließ eine Hand vom Lenkrad sinken und umfasste stattdessen mein Knie. Sein Daumen fuhr über den Stoff meiner Jeans. Ein angenehmer Schauer überkam mich. Aber ich durfte meinem Körper nicht zu sehr vertrauen. Egal wie schön die Gefühle waren, die Jason in mir auslöste, so wusste ich immer noch nicht ganz, was er sich von alldem erhoffte. Vielleicht eilte sein Ruf ihm auch vor raus, aber das konnte ich jetzt noch nicht ganz einschätzen.

»Wer ist Logan?«, war alles, was ich darauf antwortete. Jason ließ seine Finger wieder von meinem Knie gleiten und umfasste das Lenkrad.

»Logan hat mich damals unter Vertrag genommen. Er ist eigentlich kein Coach mehr, aber für mich macht er eine Ausnahme. Außerdem ist er einer meiner engsten Freunde und sowas wie ein Bruder für mich.« Ich nickte und blickte wieder zu den vorbeiziehenden Häusern.

»Kannst du mir mal helfen, Süße?« Ich wurde rot. Wie irgendwie viel zu oft in seiner Nähe. Ich sollte das wirklich mal in den Griff bekommen. Aber der Kosename, mit dem er mich eben angesprochen hatte, ließ mir keine Wahl.

Wir standen bereits in der Umkleide der Skyline Bar, Jasons Kampf würde gleich beginnen und irgendwie war ich doch plötzlich unheimlich aufgeregt.

Ich blickte ihn an. Jason stand ohne Oberteil nur mit einer grauen Sporthose vor mir und hielt mir das Tape-Band hin. Ich nickte und nahm es ihm aus der Hand.

»Na, wenn das mal nicht Phoebe ist. Hast dir das erste Date wahrscheinlich ganz anders vorgestellt was?« Ich schaute überrascht auf und blickte in unfassbare blaue Augen. Und war erstaunt, dass er meinen Namen kannte. Ihn hatte ich vorher noch nicht gesehen, wer war er?

Ich hörte auf, Jason das Tape um die Hand und den Knöchel zu wickeln. »Ehm, naja also …«, fing ich an zu stottern, weil ich kein Plan hatte was ich darauf antworten sollte.

Blauauge fing an zu lachen während sich Jason hinter mir versteifte und seine bereits bandagierte Hand um meine Hüfte schlang. »Hallo, Ich sollte mich erstmal vorstellen, oder? ich bin Logan. Ich bin außerdem …«

»Coach, bester Freund und Bruder, ich weiß«, unterbrach ich ihn. Ich erinnerte mich, davon hatte Jason erzählt. Logan fing an zu lachen und blickte hinter mich zu Jason. Herrje, die Worte waren wieder aus mir herausgeblubbert.

»Nicht schlecht, die Mieze.« Jasons Hand verkrampfte sich um meine Hüfte »Nenn sie nicht so«, sagte er leise, aber dennoch hörte ich in seiner Stimme ganz klar etwas Bedrohliches. Logan hob abwehrend die Hände »Schon klar, gehört dir.« Mein Magen verdrehte sich. Ich gehörte ihm? Was zum Teufel hatte das denn jetzt zu bedeuten? Ich wurde das Gefühl nicht los, dass er vielleicht doch an nichts Ernstem interessiert war.

Ich blickte kurz hinter mich und sah, wie Jason erst Logan einen bösen Blick zuwarf und mich dann betrachtete.

»Was ist?«, fragte er fürsorglich, aber ich schüttelte den Kopf und murmelte ein »Nichts«, ehe ich mich wieder daran mache, seine andere Hand fertig zu bandagieren. So richtig schlau wurde ich aus der Sache nicht.

»Hey Jungs.« Unbeholfen winkte ich Cole und Logan zu. Jason hatte mir gesagt, ich solle mich in seine Ecke des Rings setzten, da er jeden Moment dran sein würde. Ich hatte ihm noch viel Glück gewünscht und mich dann auf gemacht. Gott sei Dank war dieser Weg noch nicht so überfüllt und ich konnte mich schnell nach vorne durchkämpfen.

Von Weiten erkannte ich die zwei Jungs schon.

Die Securitys, die um den kleinen Bereich standen, traten zur Seite, um mich durchzulassen.

»Hey, setz dich doch.« Zwischen den beiden stand noch ein leerer schwarzer Klappstuhl. Er sah aus wie jeder andere Stuhl hier – mit dem einzigen Unterschied, dass auf der Lehne in weißer Schrift Jail stand. Ich setzte mich zwischen die beiden und lehnte mich zurück. Es fühlte sich fast so an als würde ich zum Team gehören. Team Jail. Wir befanden uns direkt vorm Ring. Die laute Menge in meinem Rücken und die bunten Lichter, die durch die Zuschauer fuhren, ließen bei mir wieder das aufgeregte Gefühl aufleben, dass ich schon einmal gespürt hatte.

»Na aufgeregt?« Cole lehnte sich auch zurück und blickte mich an. »Ein wenig, aber er schafft das schon.« Ich zuckte mit den Schultern. Nachdem ich gesehen hatte, wie schnell er gestern den Gorilla K. O. geschlagen hatte, bezweifelte ich nicht, dass Jason heute wieder als Sieger hervorging.

»Machst du Witze? Jason vermöbelt sie alle.« Cole grinste breit.

Das Knacken und Knistern ertönte und dann folgte die Stimme des Moderators für den heutigen Abend:

»Kurzfristig doch noch eingesprungen, Ladies und Gentlemen, hier kommt er: Der Mann, der alle anderen in den Schatten stellt! Freut euch auf JAAAAIIIIL!!!«

Das Publikum explodierte und sie fingen alle an seinen Namen zu rufen. »JAIL! JAIL! JAIL!« Ich bewundere ihn, wie er den Weg vom Gang hinauf zum Ring schritt. Geschmeidig stolzierte er durch die Seile in den Ring und blickte sich lächelnd um. Er fing an, sich ein wenig zu lockern. Sein Gegner wird aufgerufen:

»Und hier kommt sein Gegner, er nennt sich selbst den Schrecken der Tiefe, hier kommt DER WEIßE HAI«

Einige jubelten und brüllten, jedoch war es nicht einmal annähernd so laut wie bei Jason. Jason blickte seinen Gegner unbekümmert an und machte sich weiter locker, indem er auf der Stelle hüpfte und seine Arme ausschüttelte. Als der Gong ertönte, nahm er augenblicklich seine Deckung hoch und ging auf den weißen Hai zu. Jason schaffte es, drei Schläge schnell und präzise zu platzieren. Der Hai jedoch verfehlte ihn jedes Mal.

»Es ist lustig, wie er vor dir eine Show abzieht.« Cole blickte mich mit schelmischem Grinsen an.

»Wie meinst du das?«

Jetzt wandte auch Logan sein Blick zu mir. »Der weiße Hai«, sagte er und machte dabei Gänsefüßen in die Luft, »ist neu, er hat keinerlei Erfahrung. War vorher beim Kickboxen. Wenn Jason es gewollt hätte, wäre der Junge schon längst zu Boden gegangen.« Ich schaute ihn überrascht an und musste mir ein Lächeln verkneifen.

Jason brachte seinen Gegner dazu, sich zu drehen, sodass ich jetzt auf den Rücken des Hais blickte. Mit einem harten Schlag traf Jason ihn in den Bauch. Der Hai flog nach hinten und rutschte über den Boden in unsere Ecke. Jason blickte mir in die Augen und zwinkerte mir zu. Ich jedoch schaue erst ihn und dann seinen Gegner überrascht an.

Als der Ringrichter fertig mit Zählen war und zu Jason lief, fing ich an mitzujubeln. Und als er dann Jasons Arm in die Höhe riss, explodiere ich mit der Menge mit. Ich stand von meinem Platz auf und klatsche mit der Menge mit.

»JAIL! JAIL! JAIL!«

Wieder fingen die Menge an, sich auf ihn zu stürzen. Er jedoch drängelte sich durch die Menge, schwang sich locker über die Seile und kam genau vor mir auf. Ich hielt den Atem an und blickte in seine karamellfarbenen Augen.

Jason packte meinen Kopf mit seiner großen Hand, zog mich näher an sich und drückte mich gegen seine harte und schweißnasse Brust. Langsam und zärtlich drückte er seine Lippen auf meine. Ich konnte gar nicht anders, als den Kuss zu erwidern. Erst dann kapierte ich, was wir da gerade machten. Der Kuss hielt nicht lange, bald wurde Jason von mir weggezogen und in einen Kreis von Fans getrieben. Laut lachte er aus voller Kehle und ließ sich feiern.

Ich wurde rot bei dem Gedanken, dass uns so viele dabei beobachtet hatten. Ich ließ mich wieder auf meinen Stuhl sinken. »Weißt du, wenn Jason gewinnt dann schießen bei ihm alle Endorphine hoch und er ist total aufgedreht.« Logan blickte mir in die Augen. »Er wird übermütig und macht Sachen, die er vielleicht gar nicht machen wollte.«

Ich versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich seine Worte verunsicherten. Wollte Jason doch nur die schnelle Nummer? Augenblicklich bekam ich Bauchschmerzen. Cole meldete sich auch zu Wort, als er meine Miene bemerkte: »Phoebe, er hätte dich ohnehin irgendwann geküsst, was Logan damit sagen will ist, dass er sich bei dir eigentlich Zeit lassen wollte. Glaub mir, er verhält sich bei dir ganz anders als bei den anderen Frauen.« Aufmunternd stupste er mich an. Ich versuchte mich etwas zu entspannen. Aber seine Aussage huschte mir weiterhin durch den Kopf. Verhielt er sich bei mir wirklich so offensichtlich anders? Oder sagte Cole das nur, um Jason in ein gutes Licht zu rücken?

»Logan hat es nur mal wieder total dumm formuliert.« Cole warf Logan einen wütenden Blick zu, dann guckte er mich wieder sanft an »Er mag dich wirklich gerne.« Cole zwinkerte mir zu und stand auf.

»Los, warten wir in der Umkleide auf unseren Champion.«

Kapitel 5

Phoebe

Nachdem mich Jason gestern zu meiner Wohnung gefahren hatte, konnte ich schon vom Parkplatz aus sehen wie sich Jeremy gegen das Fenster drückte, um alles mitanzusehen. Jason war noch immer aufgeregt gewesen und konnte kaum stillsitzen. Er legte seine Hand auf mein Knie, sah glücklich aus. Ich beließ die Sache dabei und sprach ihn nicht mehr auf den Kuss an. Wenn es ihm wirklich nicht nur um das Eine ging, würde er sich sicherlich nochmal melden, um mit mir wirklich richtig auszugehen.

Jason begleitete mich bis zur Eingangstür und gab mir zum Abschied einen Kuss auf die Wange. Jeremy habe ich natürlich alles haarklein erzählt. Er war bis unter die Decke gegangen, so sehr hatte er sich für mich gefreut und als ich ihm von dem kurzen Kuss erzählt hatte, war er gar nicht mehr zu bändigen.

Jetzt saß ich in meinen letzten Kurs für heute: Astronomie Grundkurs. Meine Gedanken drehten sich allerdings die ganze Zeit um Jason. Ich konnte mich nicht auf Planeten und die Milchstraße konzentrieren. Dr. Harrington erzählte weiter etwas über die Masse eines Schwarzen Lochs und deren Gravitation, aber mit meinen Gedanken hing ich noch bei gestern Abend.

In meinen Block zeichnete ich in unterschiedlichen Schriften seinen Namen. Jail. Ich sollte wirklich versuchen, mich weniger wie ein Teenager zu verhalten.

»Das macht ihr bitte bis morgen fertig, schönen Tag noch.« Dr. Harrington packte seine Tasche und verließ den Vorlesungsraum. Panik erfasste meinen Körper und ich schrak von meinen Kritzeleien auf. Was sollen wir machen? Hilfesuchend drehte ich mich Jeremy zu: »Was sollen wir machen?« Jer lachte.

»Hast du etwa nicht aufgepasst?« Ich schüttelte den Kopf. »An was hast du denn dann gedacht?« Er zog spitzbübisch die Augenbrauen hoch. »Etwa an ihn? Wie er dich küsst? Wie er dich um den Verstand bringt? Wie er …« Ich schnitt ihm das Wort ab bevor er sich noch mehr in die Sache vertiefen konnte. »Nein, habe ich nicht, also ich meine ich habe schon an ihn gedacht, aber nicht so wie du denkst, also nicht an … ach verdammt. Jer, sag mir einfach was wir machen sollen.« Jeremy lachte wieder und dieses Mal – da war ich mich sicher – lachte er mich aus. Er wischte sich eine Träne aus dem Augenlid, kurz bevor sie seine Wangen herunterfließen konnte.

»Wir sollen eine Karte vom Sternenhimmel zeichnen, also bestimmte Sterne kennzeichnen.« Zum Dank nickte ich ihm zu und machte mich auf den Weg nach draußen.

»Hey Phoebe!« Ich drehte mich um einhundertachtzig Grad. Hatte da jemand meinen Namen gerufen? Da entdeckte ich auch schon den braunen Schopf von Cole. Sofort musste ich lächeln. Er sah seinem Bruder echt ähnlich. »Ja?«, fragte ich, als er vor mir zum Stehen kam.

»Die hier soll ich dir von Jason geben.« Er zog eine umgeknickte Rose, die schon ein paar Blätter verloren hatte, aus seiner Schultasche. Es hing ein kleiner weißer Zettel daran. »Oh.« Cole runzelte die Stirn und kratzte sich an der Schläfe »Die sah mal besser aus.« Er hielt sie mir hin und ich nahm sie ihm ab. Ich schmunzelte beim Anblick der demolierten Rose. Als ich wieder aufblickte, war Cole verschwunden.

»Heute Abend habe ich wieder einen Kampf. Ich würde mich freuen, wenn du auch kommst. Guck nachher in deinen Briefkasten. J.«

Schon wieder eine Fight-Night, bei der ich dabei sein sollte?

Auch wenn ich den ersten Abend mit Jeremy nicht besonders berauschend fand, musste ich gestehen, dass sich Vorfreude in mir ausbreitete. Ich dachte an das Adrenalin, das mir durch die Adern geschossen war als Jason gestern Abend gekämpft hatte. Ich freute mich. Darauf, wirklich ihn wiederzusehen und sogar auf die Atmosphäre. Das durfte ich nur Jer nicht verraten, er würde mich ständig damit aufziehen, dass nicht er es geschafft hatte, mich aus meiner Höhle herauszulocken, sondern geradewegs ein Boxer. Prima.

Ich konnte nichts gegen das Dauergrinsen auf meinen Lippen machen. Aber schon im nächsten Moment wurde mir klar, dass ich nicht kommen konnte. Ich ging über den Parkplatz, bis ich vor meinem kleinen, aber feinen Auto stand. Die alte Kiste gehörte eigentlich meinem Dad, aber ich brauchte irgendetwas, womit ich meine Sachen von Portland nach Phoenix bekam. Daher hatte er mir schweren Herzens sein Auto vermacht. Dad konnte morgens zu seiner Werkstatt laufen, außerdem hatte er sowieso vor, dieses Jahr seine alte Corvette wieder zum Laufen zu bringen.

Seufzend setzte ich mich hinein und schloss die Tür hinter mir. Entschlossen kramte ich mein Handy raus und tippte Jasons Name ein. Ich wollte ihm keine einfache SMS schreiben, ich wollte es ein bisschen persönlicher machen.

Es piepte ein paar Mal, bis zuerst ein Knacken und danach ein nach Luft schnappender Jason zu hören war.

»Ja?«

Ich runzelte die Stirn. Er klang schwer erschöpft.

»Stör ich?«

»Nein, ich war gerade nur am Trainieren, für den Kampf. Hast du dich über die Rose gefreut?«, hakte er nach. Lächelnd blickte ich auf die Rose in meiner Hand. Ihr Kopf hing eher nach unten.

»Ja, sehr sogar. Aber ich kann heute Abend leider nicht dabei sein. Ich muss für einen Kurs noch eine Hausarbeit erledigen.« Obwohl ich so gerne kommen würde.

»Jason, genug geplaudert, komm wieder her. Wir müssen noch an deiner Deckung arbeiten«, hörte ich Logan im Hintergrund rufen.

»Verdammt, ich brauche keine Deckung, weil mich eh nie einer von denen trifft«, brüllte er zurück. »Entschuldige«, wandte Jason sich wieder mir zu. »Was hast du gesagt? Du wirst nicht kommen?« Seine Stimme klang ganz anders als noch vor wenigen Sekunden.

»Nein. Ich habe Hausaufgaben auf und die kann ich erst machen, wenn der Sternenhimmel zusehen ist«.

»Okay.« Okay? Mehr sagte er nicht.

»Bis dann, Phoebe.« Dann legte er einfach auf. Er klang wie eine Mischung aus wütend und traurig. Ich schüttelte verwirrt den Kopf. Ich wusste nicht ob ich oder er in diesem Moment enttäuschter war.

Anscheinend hatte er so schnell das Interesse wieder an mir verloren, vielleicht rief er nach mir auch schon die Nächste an, welche bereitwillig erscheinen würde. Würde er sie auch so überstürzt küssen? Oder sogar noch weiter gehen?

Ich schüttelte rasch den Kopf, mit solchen Gedanken durfte ich mich gar nicht befassen, es war mir doch von vorneherein klar gewesen, dass ich wahrscheinlich nur eine von viele sein würde.

Selbst zurück in meiner Wohnung konnte ich aber nicht anderes tun, als an Jasons Okay zu denken. Ich stellte die Rose in eine Vase, versuchte sie mit Tesafilm wieder gerade zu biegen und stellte sie neben mich auf den Schreibtisch. Im Briefkasten lag ein Backstage-Pass mit meinen Namen darauf. Die ganze Zeit schwirrte mir dieselbe Frage durch den Kopf: Habe ich ihn enttäuscht oder wütend gemacht? Vielleicht war, dass der Grund, weshalb sich vorher noch nie jemand für mich interessiert hatte, ich machte anscheinend irgendwas nicht ganz richtig.

Ich sollte ihn nochmal anrufen, oder ihm zumindest eine Nachricht schreiben und nachfragen, ob alles okay war zwischen uns. Nein das sollte ich lieber nicht tun, wir kannten uns doch noch überhaupt nicht. Zumindest nicht so richtig. Ich wollte weder verzweifelt wirken, noch hatte ich es nötig jemanden hinterherzulaufen. Seufzend stützte ich den Kopf in die Hände. Warum sagte mir mein Herz das Eine, aber mein Kopf etwas anderes.

Ich versuchte, mich auf meine Hausarbeiten zu konzentrieren, aber meine Gedanken wollten einfach nicht so wie ich. Stöhnend gab ich es auf und legte meinen Kopf auf die Tischplatte. Jasons breite Schultern, seine muskulösen Arme und dieses freche Grinsen traten immer wieder vor mein inneres Auge. Ich gab es auf die Sterne weiter zu beobachten. Vielleicht könnte ich ja doch noch zum Kampf gehen? Oder ich blieb einfach zuhause und warte darauf, dass er sich nochmal meldete. Oder war ich jetzt an der Reihe mal die Initiative zu ergreifen? Ich wusste es nicht.

Gerade als ich aufstand, um mir einen Kaffee zu machen, vibrierte mein Handy.

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